76. Jahrestag der Befreiung - „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“

Jan Korte

Auch in Corona-Zeiten ist die historische Erinnerung wichtig - wenn nicht sogar wichtiger denn je. Und heute, am 76. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von den Nazis erst recht.
In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 unterzeichneten in Berlin-Karlshorst Vertreter des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die offizielle Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Es war das offizielle Ende eines verbrecherischen Systems, dessen Weltherrschaftspläne, Herrschaftspraxis und Rassenwahn die menschliche Zivilisation generell in Frage gestellt hatten.
Am 8. und 9. Mai feiern wir deshalb nicht nur das Ende des 2. Weltkrieges und damit der NS-Herrschaft. Wir gedenken ebenso jenen Millionen Menschen, die Opfer faschistischer Gewalt und des Krieges wurden. Ungeheure Verbrechen wurden im Namen Deutschlands von Deutschen begangen und die Bilanz des Zweiten Weltkrieges ist eine Bilanz des Schreckens und des Terrors: mehr als 60 Millionen Menschen starben bei Kampfhandlungen, durch Repressalien, durch Aushungern, durch Massenvernichtungsaktionen und durch Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Konzentrationslager sperrte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Zwangsarbeit vernichtet, darunter zehntausende Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende und Homosexuelle. Unfassbar ist die Shoah, der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen. Bis heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen gelöscht sind die ungeheuren Verbrechen an den Völkern Ost- und Südosteuropas im Rahmen des NS-Raub- und Vernichtungskrieges und der Ideologie vom „Lebensraum im Osten“ und an vielen Menschen in den anderen im Krieg besetzten Staaten. Immer weniger Menschen wissen überhaupt noch, dass den höchsten Blutzoll im Zweiten Weltkrieg die Soldaten der Sowjetunion, sowie die Zivilbevölkerung der Länder im Osten und Südosten Europas zahlten. Und dass der Roten Armee der Hauptanteil an der Befreiung Europas vom Faschismus zu verdanken ist. Wir gedenken aber auch denjenigen unter den Deutschen, die aufgrund ihres politischen und moralischen Widerstandes verfolgt, vertrieben oder eingesperrt und ermordet wurden. Allen voran Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, aber auch Christen und konservativ denkende Demokraten, die unter großen Opfern Widerstand geleistet haben. Sie waren eine Minderheit. Die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung, deren Leitbild Rassismus und menschenverachtender Fanatismus war, trug das faschistische Terrorregime bis zum Ende. Erst als der Krieg verloren war, endete auch das Morden in den Lagern und Kerkern.
Die Völker und Soldaten der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens und aller weiteren alliierten Staaten haben für die Befreiung vom Nazi-Faschismus unvorstellbare Opfer erbracht. Ihnen gilt unser Dank. Die Befreiung brachte den Deutschen und den Menschen in weiten Teilen Europas einen nun seit 76 Jahren andauernden Frieden und die Durchsetzung der universellen Menschen- und Freiheitsrechte. Unser Grundgesetz, mit seinem antifaschistischen Kern gleich schon in Art. 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ist Ausdruck dieser Befreiung und zugleich Basis für weiteren sozialen Fortschritt in unserer Gesellschaft. Diesen Fortschritt wollen die Ewiggestrigen und neuen Rechten mit aller Macht verhindern. Überall versuchen sich Nazis und andere extreme Rechte wieder breit zu machen. In vielen europäischen Ländern haben sie starke Parteien, in manchen stellen sie die Regierung. In den USA haben sie versucht, gegen die Präsidentenwahl zu putschen. In unserem Land finden sie sich in der AfD in allen Parlamenten. Auf den Straßen gehen sie aggressiv und gewaltsam gegen Menschen vor, die nicht ihrem Weltbild entsprechen. Das dürfen Linke und alle anderen Demokraten niemals unwidersprochen hinnehmen. Denn Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen, bedeutet für DIE LINKE mehr als Erinnerung und Gedenken allein. Verantwortung heißt für uns, immer dann aktiv einzugreifen, wenn NS-Verbrechen geleugnet oder verharmlost werden. Immer und überall solidarisch zu sein, wenn Jüdinnen und Juden Antisemitismus und Bedrohung erfahren. Niemals zu schweigen oder wegzugucken, wenn Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Haltung von Rechten verbal oder physisch attackiert werden.
Der 8.Mai ist der richtige Tag, sich darüber zu freuen, dass der europäische Faschismus vernichtend geschlagen wurde. Und es ist der richtige Tag dafür zu sorgen, dass das auch in Zukunft so sein wird.